Seit 2015 führt der deutsche Künstler Jan-Hendrik Pelz die Kunstsammlung „Pelz Collection“. Die Schweizer Kunsthistorikerin Stéphanie Stamm sprach mit ihm über seine Karriere als Kunstsammler, seine Verbindung zu den von ihm gesammelten Künstlern und den geheimnisvollen roten Faden, der das Ganze zusammenhält.
Stéphanie Stamm: Herr Pelz, wie wird man vom Künstler zum Kunstsammler?
Das bahnte sich langsam und über Jahre hinweg an. Eigentlich bin ich ins Sammler-Sein hineingestolpert, es gab nie einen Plan, der dann von A nach B umgesetzt wurde. In der Vergangenheit habe ich immer wieder Kunstwerke von Künstlerfreunden geschenkt bekommen. Es gab auch Situationen, in denen ich für andere Künstler Aufträge ausgeführt habe und die mich schließlich mit ihrer Kunst „bezahlt“ haben. Das habe ich immer angenommen, denn Kunst ist bekanntlich die schönste Währung.
"Kunst ist bekanntlich die schönste Währung."
Stéphanie Stamm: Welches war das erste Werk, dass Sie bewusst als Sammler gekauft haben? Wann spricht man von einer Sammlung?
Ich habe 2015 Gregor Schneider kennengelernt und mich kurz darauf in zwei seiner Werke verliebt. Mir ging es immer schon so, dass bestimmte Kunstwerke eine enorme Anziehung auf mich haben, aber jeder Sammler wird ihnen von dieser Erfahrung berichten können, vor einem Bild zu stehen und zu wissen: „Dieses Werk muss ich haben, dieses und kein anderes. Ich werde und kann diesen Raum nicht ohne diese Arbeit verlassen!“ Man spürt dann diesen kurzen Moment der Fügung, das Kunstwerk verbindet sich mit dir und man weiß, dass man füreinander bestimmt ist, dass es eine lebenslange Verbindung werden wird. Nachdem ich ein paar Wochen mit den Kunstwerken von Schneider gelebt hatte, spürte ich, dass das Zusammenleben mit Kunst mir viel gibt, dass ich da auch einiges für mich als Künstler herausziehen kann. An diesem Punkt war die Idee geboren, eine Kunstsammlung zu gründen. Es war mehr als eine Idee; ein wirkliches Bedürfnis.
Stéphanie Stamm: Nach welchen Kriterien sammeln Sie? Wie weit hat Ihr eigenes Kunstschaffen die Ausrichtung Ihrer Sammlung beeinflusst?
Als Künstler, so nehme ich an, nimmt man die Arbeiten der Kollegen ganz anders wahr. Meine Sammlung hat keine Ausrichtung, die sich nach Stilen, Epochen oder dem Medium richtet. Der rote Faden ist meine Leidenschaft. Meine Leidenschaft gegenüber einem Werk, einem Projekt oder einem Künstler. Ein Werk muss mich ansprechen, auf mich wirken. Ein Künstler oder eine Künstlerin muss zu mir passen, zu meiner Vision, zu meiner Idee des Ganzen. In diesem Moment ist es egal, ob es ein Bild von Gerhard Richter ist oder eine Zeichnung von Albrecht Dürer. All diese Werke haben gemeinsam, dass ich in einem besonderen Verhältnis zu ihnen stehe und das gibt meiner Sammlung die besondere Note.
Da ich selbst Künstler bin, gibt es da diesen ganz intimen Moment, dieses Gefühl, dass das Sammeln dem Kunstschaffen sehr nahe ist und dass die Unterschiede sich immer weiter auflösen. Ich glaube, dass man bei Künstlern, die Kunst sammeln, das Sammeln beinahe ein weiteres, künstlerisches Projekt nennen darf. Denn letztendlich trifft man ja mit jedem Kauf eine Aussage. Und die Summe dieser einzelnen Aussagen ergeben eine Tendenz, eine Richtung. Damit stellt man sich ja auch selbst mit seinem Werk in einen Kontext.
"Ein Künstler oder eine Künstlerin muss zu mir passen, zu meiner Vision, zu meiner Idee des Ganzen."
Stéphanie Stamm: Tritt das eigene Kunstschaffen nun in den Hintergrund?
Bis jetzt nicht, im Gegenteil. Natürlich beansprucht die Führung und der Aufbau einer Kunstsammlung viel Zeit. Damit verbunden ist eine permanente Recherche über Künstler und Kunstwerke, Gespräche mit anderen Sammlern sowie den Kunstschaffenden selbst, Werkbesichtigungen und vieles mehr. Ein Aspekt, der mir beim Kauf wichtig ist, ist der Kontakt zu den Künstlern, der Austausch. Der Mensch, der hinter dem Kunstwerk steht. Ich möchte ihn kennenlernen, ihn fördern, sein Schaffen anderen zugänglich machen. Wenn man nicht auf einer Wellenlänge ist, kommt meist kein Kauf zustande. Und ich bin mir ganz sicher, dass meine eigene künstlerische Arbeit davon profitiert. Ich glaube, dass all das, was mir mein Sammeln und der Austausch mit den Künstlern gibt, in meine eigene Kunst einfließt und diese prägt.
Stéphanie Stamm: Stehen sie mit den Künstlern auch nach den Käufen weiterhin in Kontakt?
Soweit das möglich ist ja, mit einigen! Und das ist wunderbar. Mit vielen stehe ich in engem Kontakt. Immer wieder besichtige ich auch neu entstandene Werke. Aber es geht ebenso um einen Austausch, um eine freundschaftliche Nähe. Die Attitüde, sich als Sammler nur für den schnellen Kauf, das Haben-wollen und das Kunstwerk selbst zu interessieren, kann ich nicht nachvollziehen. Mit Carsten Höller habe ich letzte Woche geschrieben und Urs Fischer schickte mir erst vorgestern ein paar nette Zeilen...
Stéphanie Stamm: Warum machen Sie Ihre Sammlung öffentlich zugänglich und sichtbar? Das ist ja eine Entscheidung, ein Entschluss... Ich meine, man könnte ja all diese Glücksmomente, von denen sie sprechen, auch für sich im Privaten genießen.
Ein Kritiker warf mir letztes Jahr vor, dass meine Sammlung keine Ausrichtung hätte, dass mein Anliegen nicht sichtbar wäre. Was er mit diesem Anliegen meinte, war wohl das, was ich im positiven Fall die Sichtbarmachung einer These oder einer Tendenz nenne, im negativen Fall, und das ist leider häufiger der Fall, einen konstruierter Vorwand zur Legitimation der eigenen Sammlung. Lassen Sie mich das erklären. Im Idealfall hat der Sammler ein Anliegen, einen Fokus oder sogar eine These, die er durch das Sammeln diverser Werke darstellen und untermauern will. Sagen wir, nur als Bespiel, ich würde behaupten, dass der frühe Alfred Kubin mehr Einfluss auf die Entwicklung der Künstler der Moderne hatte, als bisher angenommen. Und dann würde ich all die Künstler und Künstlerinnen sammeln, die meine Vermutung untermauern und sichtbar machen. Der klassische Weg: Die These, die Beweisführung, und - wenn es klappt - die Anerkennung. Eigentlich eine Aneignung wissenschaftlicher Vorgehensweisen! Aus diesem Grund sind Sammlungen, bei denen solch ein Ansatz positiv umgesetzt werden konnte, von hoher Wertigkeit und auch für die Forschung von Bedeutung. Oft wird aber nur eine, ich nenne es meistens „Pseudo-These“, vorweg gestellt, oder auch später darüber gestülpt, um der Sammlung den scheinbar wissenschaftlichen Anstrich zu geben, um sie damit in einen Kontext zu stellen und aufzuwerten. Wenn dann einer sagt: „Hier bin ich, ich sammle, was mir gefällt und das ist das Thema: Es geht um mich!“, dann ist das zwar ehrlich und im Geheimen auch die Motivation vieler Sammler, es passt jedoch nicht jedem. Aber es geht ja auch darum, Kunst und Künstler sichtbar zu machen. Kunst ist ein Allgemeingut. Wie könnte ich diese Werke meinen Mitmenschen vorenthalten, nur weil ich sie besitze?
"Aber es geht ja auch darum, Kunst und Künstler sichtbar zu machen."
Stéphanie Stamm: Sehen Sie einen gesellschaftlichen Wert in Ihrer Tätigkeit als Sammler?
Ja, sicher.
Stéphanie Stamm: Wie wird es mit der Sammlung Pelz weitergehen? Verraten Sie mir Ihre Pläne?
Ich denke in verschiedene Richtungen. Natürlich steht die Umsetzung vieler Pläne letztendlich in den Sternen, doch wenn alles in der Art und Weise verläuft, wie ich es mir erhoffe, werde ich die Sammlung in Zukunft ausbauen und erweitern, um sie parallel an verschiedenen Orten präsentieren zu können. Geplant sind Ausstellungshäuser in Städten wie Rom, Paris oder Berlin. Zukunftsmusik – doch ich bin schon am tanzen!
Stéphanie Stamm: Von welchem Künstler oder welcher Künstlerin würden Sie gerne unbedingt ein Werk besitzen?
Pablo Picasso, das wird jedoch schwierig. Georg Baselitz wäre toll, aber auch Peter Paul Rubens oder Rembrandt Harmenszoon van Rijn! Oder ein Kunstwerk von Vincent van Gogh! Sie sehen, ich bin nicht gerade zurückhaltend mit meinen Träumen.
Stéphanie Stamm: Was wäre ein Tipp, den Sie anderen Sammlern mitgeben würden?
Das Sammeln von Kunst sollte wieder verstärkt eine Herzensangelegenheit werden und aus dem Zentrum der Akkumulationen treten. Der Handel mit Kunst, der sich oftmals in der Szene dem Handel mit Aktien angleicht, verdirbt die Kunst und die Künstler selbst. Ist so ein System erst einmal errichtet, ist es schwer, da überhaupt einer Gegenposition Gehör zu verleihen.
Mit Kunst wurde schon immer gehandelt und seit es die Kunst gibt, gibt es Menschen, die sie sammeln. Wir leben jedoch in einer Zeit, in der die Maximierung des Gewinns leider oft an allererster Stelle steht. Und ich spreche hier nicht nur von rein materiellen Gewinnen. Oft steht auch eine Profilierung, die sich wiederum in irgendeiner Form gewinnbringend auswirkt, im Vordergrund. Aber es gibt sie dennoch, all die leisen und poetischen Töne, die ganz wunderbar sind, wenn man lernt, hinzuhören und es schafft, das laute Gebrüll der Strategen und Spekulanten - sei es auf Seiten der Künstler oder auf Seiten der Profiteure - auszublenden.
"Geplant sind Ausstellungshäuser in Städten wie Rom, Paris oder Berlin. Zukunftsmusik – doch ich bin schon am tanzen!"
Stéphanie Stamm: Das kann ich nachvollziehen. Es klingt aber auch ein wenig nach Kapitalismuskritik. Nun könnte man entgegenhalten: Darf sich ein Kunstsammler überhaupt so positionieren? Schließlich ist der Kunstmarkt nicht unbedingt ein Nebenschauplatz des internationalen Wert-Transfers... Und eine öffentliche Kunstsammlung stellt sich ja auch bewusst in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
Ich plädiere ja nicht für einen Gegenentwurf, für eine 180 Grad-Wende. Ich spreche von einer Verlagerung der Interessen. Es gibt einen immer schneller wachsenden Markt, in dem die sogenannten „Trophy-Artworks“ oftmals innerhalb eines Jahres mehrmals den Besitzer wechseln. Da geht es um Spekulation, um Zuwachs, um Maximierung. Schließlich ist das Kunstwerk durch die ihm zugeschriebene Wertigkeit - diese spekulative und schwer greifbare Zuschreibung, die sich den geläufigen Formeln entzieht - die perfekte Projektionsfläche für einen stetigen Wertzuwachs. Ich mache immer einen Witz über Geld und Kunst. Es gibt gewisse Ähnlichkeiten zwischen einem Geldschein und dem klassischen Kunstwerk: Niedrige Material- und Produktionskosten, dabei eine Fläche, auf die man unbegrenzt viele Zahlen schreiben kann. Und das ist die Gefahr. Dass es in erster Linie gar nicht mehr um die Kunst geht, nicht mehr um die Leidenschaft. Und die Leidenschaft für die Kunst sollte der rote Faden sein, der sich durch alle Bereiche zieht. Das mag utopisch klingen, aber als Sammler darf ich das sagen. Schließlich sind die Sammler doch die neuen Künstler, nicht wahr? (lacht)
Stéphanie Stamm: Ich dachte die Kuratoren?
Ja genau, die auch. Aber deshalb kuratieren die Künstler jetzt ja auch zunehmend selbst. (lacht)
Ich glaube eben, dass auch das legitim ist, so lange die Liebe zur Kunst im Mittelpunkt steht. Wäre dies nicht ein gutes Schlusswort?
Stéphanie Stamm: Einverstanden. Herr Pelz, ich danke Ihnen für das Gespräch!
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